Die Tiefsee enthält Schätze, nach denen bald alle Welt graben könnte: Gesteinsbrocken am Meeresboden mit wertvollen Edelmetallen. Auch Deutschland hat sich ein Abbaugebiet im Pazifik reserviert. Wie gefährlich ist der Tiefseebergbau für die Umwelt?
Japan ist jetzt auch mit dabei. Vor ein paar Wochen förderte das japanische Ölunternehmen JOGMEC 1600 Meter unter der Meeresoberfläche Tiefseeerze, sogenannte Massivsulfide. „Der Erfolg des Tests bedeutet einen großen Schritt vorwärts für die Technologie, die notwendig ist, um Meeresbodenschätze zu heben“, schwärmte das japanische Wirtschaftsministerium. Im Herbst diesen Jahres nutzte man die guten Wetterbedingungen vor den südlichen Inseln in der Okinawa-Präfektur, um die Tiefseeerze aufzusammeln und zu einem Schiff an die Wasseroberfläche hochzupumpen.
Bricht nun ein globaler Goldrausch in den Weltmeeren aus? 30 Kilometer vor der Insel Neuirland in Papua-Neuguinea will das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals Anfang 2019 am Meeresboden nach Seltenen Erden und Edelmetallen graben. Auch diese unterseeische Lagerstätte, Solwara 1 genannt, beherbergt Massivsulfide: Gesteinsbrocken, in denen Gold, Kupfer, Nickel, Kobalt und andere Metalle enthalten sind. Das Material ist begehrt für die steigende Produktion von Smartphones, Windrädern und Batterien. Am Meeresboden ist die Konzentration der Edelmetalle oft größer als in Erzen an Land: bei Probemessungen von Nautilus Minerals zeigte sich, dass durchschnittlich sieben Prozent Kupfer in den unterseeischen Metallklumpen stecken. An Land geförderte Erze enthalten rund ein Prozent. Die Goldkonzentration beträgt nach Angaben des Unternehmens bis zu 20 Gramm pro Tonne Abbaugestein im Vergleich zu sechs Gramm pro Tonne an Land. Ein Erfolg dieses Projekts könnte daher ein globales Wettrennen um die Schätze der Tiefsee lostreten.
Massivsulfide sind an den sogenannten Schwarzen Rauchern zu finden, also kleinen Tiefseevulkanen, die zugleich Grundlage für das Ökosystem am Meeresboden sind. Meerwasser dringt an den Grenzen von Kontinentalplatten zwei bis drei Kilometer in den Ozeanboden, wird dort auf über 200 Grad erhitzt und wieder nach oben gedrückt. Dabei wäscht der heiße Wasserstrom verschiedene Metalle und Stoffe aus dem Gestein. Am Meeresboden dringt dann aus diesen „hydrothermalen Tiefseequellen“ heißes, mineralienreiches Wasser in Form von schwarzem Rauch aus. Trifft das heiße Quellwasser auf das 2 Grad kalte Tiefseewasser, fällen Metallsulfide aus, reichern sich an den Austrittsstellen an und formen meterhohe Türme, Schlote genannt. Auf dem Grund von Solwara 1 hat Nautilus Minerals bis zu 15 Meter hohe Schlote gesichtet.
Die Internationale Meeresbodenbehörde mit Sitz in Jamaika ist für Meeresgebiete außerhalb der nationalen Gesetzgebung zuständig. Wer sich einen Teil vom Ozean sichern will, kann einen Antrag für eine 15-jährige Lizenz stellen, die ein bis zu 150.000 Quadratkilometer großes Areal abdeckt – dafür gehen die Antragsteller Verpflichtungen ein und müssen beispielsweise ökologische Untersuchungen durchführen, bei denen Sie die Artenvielfalt, Meeresströmungen und Sedimente analysieren.
Auch Deutschland hat sich Gebiete gesichert – unter anderem eine Erkundungslizenz für Massivsulfide im Indischen Ozean vor Madagaskar sowie für Manganknollenfelder in der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone in der Pazifik (siehe Karte). Manganknollen sind Steinklumpen, die wertvolle Elemente wie Gold, Kobalt, Mangan, Kupfer, Zink und Nickel enthalten. Verantwortlich für die Exploration und einen möglichen Abbau ist in Deutschland die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) als Oberbehörde im Auftrag des Wirtschaftsministeriums. Im Hype um Tiefseelagerstätten spielt vor allem der Drang, sich von ausländischen Bodenschätzen unabhängiger zu machen, eine Rolle – ein Anreiz für rohstoffarme Länder. Bergbauunternehmen wiederum lockt die Aussicht auf das große Geld. Das ist im Meer nicht anders als an Land.
Zurzeit arbeitet die ISA noch an dem sogenannten Mining Code, der internationale Standards zum Tiefseebergbau festlegen soll. Wenn dieser fertiggestellt ist, können die Erkundungslizenzen für die Staaten und Unternehmen in Abbaulizenzen münden und die Jagd nach Rohstoffen wird eröffnet sein. Einen ersten Entwurf für den Mining Code hat die Behörde im August veröffentlicht: er sieht vor, dass die Lizenznehmer Machbarkeitsstudien durchführen, Finanzierungsnachweise erbringen, Umweltdaten liefern, Notfallpläne erarbeiten, Antikorruptionsmaßnahmen ergreifen und einen jährlichen Bericht herausgeben.
Die Abbaubedingungen am Meeresboden sind deutlich komplizierter als in Minen: In bis zu sechs Kilometern Tiefe, zum Teil mehr als 1000 Kilometer vom Festland entfernt, herrschen ein extremer Druck und niedrige Temperaturen. An der Meeresoberfläche müssen die Mutterschiffe Strömungen, Stürmen und Wellen trotzen.
Die Abbaugeräte sehen nach Science Fiction und schwerem Geschütz aus: Tiefseepanzer mit gigantischen Fräsen und Trichtern sollen die Erze abbauen. Das anvisierte Gebiet sei mit 0,1 Quadratkilometern extrem klein, beteuert Nautilus Minerals, „es gibt keine Auswirkungen auf Fischerei, Riffe oder die Küstenbewohner.“ Für Solwara 1 braucht es wie bei dem japanischen Testabbau ein Schiff, das wie eine Art Ölplattform über dem Abbaugebiet schwebt und zu dem Pumpen die Tiefseeerze fördern können. Das Pump- und Rohrsystem sei vollständig geschlossen, die Erze würden sich nicht mit dem Wasser vermischen, erklärt die Firma. Außerdem finde der Abbau in mindestens 1300 Metern Tiefe statt, Thunfische oder Wale würden hingegen in Tiefen von 800 Metern und darüber leben.
„Was auf jeden Fall bei einem Abbau passiert, ist, dass man die Lebensgemeinschaften grundlegend stört“, sagt Sven Petersen von GEOMAR, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Petersen ist Rohstoffgeologe und erforscht die Schwarzen Raucher. „Man geht normalerweise davon aus, dass die Schwarzen Raucher an Gebiete erhöhter vulkanischer Aktivität gebunden sind und die Lebensgemeinschaften angepasst sind, weshalb sie sich relativ schnell regenerieren können. Ein Abbau wird aber dafür sorgen, dass sich die Lebensgemeinschaften anders zusammensetzen. Ob der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden kann, wissen wir nicht, ist aber eher unwahrscheinlich. Da die abgebauten Gebiete aber relativ klein sind, halte ich das im globalen Maßstab nicht unbedingt für ein Ausschlusskriterium für den Abbau von Massivsulfiden.“
In den betroffenen Küstenregionen regt sich breiter Widerstand gegen das Vorhaben: die Menschen befürchten, dass das Projekt Solwara 1 unter anderem die Fischbestände und marinen Ökosysteme schädigen könnte – gegen diesen „experimentellen“ Tiefseebergbau wehren sie sich, denn die Fischerei und ein intakter Ozean sind Lebensgrundlage vieler Küstenbewohner.
„Das geplante Solwara 1-Projekt befindet sich mitten in unserer Fischfangregion, und die dortigen Meeresströmungen treiben die Schadstoffe direkt an unsere Küsten“, erklärt Jonathan Mesulum von der Alliance of Solwara Warriors, einer Organisation für das Verbot von Tiefseebergbau im Pazifik, auf der Webseite Papua New Guinea Mine Watch. Ähnlich skeptisch äußerte sich Emele Duituturaga, die Generaldirektorin von PIANGO, einem Zusammenschluss von NGOs mehrerer Pazifischer Inselstaaten, auf der diesjährigen Ozeankonferenz der Vereinten Nationen: „Viele Jahre kämpften Vereine kleiner Fischereibetriebe gegen ocean grabbing und die Privatisierung der Fischereiressourcen. Tiefseebergbau ist ein Beispiel für diese wachstumsorientierte Strategie und die umweltschädigende Nutzung von Meeresressourcen. Sie missachtet die Rechte der örtlichen Gemeinden und ihre Existenzgrundlage und befriedigt den Ressourcenhunger von Industrie- und Schwellenländern.“
Die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze für die Küstenbewohner von Neuirland hat sich jedenfalls zerschlagen: die Mitarbeiter von Solwara 1 werden hochqualifizierte Fachkräfte wie Forscher und Ingenieure sein, einen breiten Zugang zum Arbeitsmarkt in Papua-Neuguinea gibt es also nicht.
„Alle Erfahrungen mit bisherigen Bergbauprojekten an Land sind durchweg negativ“, sagt Jan Pingel vom Ozeanien-Dialog, einem Verein für Anliegen der Zivilgesellschaft pazifischer Inselstaaten. „Die Menschen, denen diese Großprojekte außer Entschädigungsahlungen vor allem Umweltverschmutzung, Krankheiten und Hunger gebracht haben, gehören heute zu den Ärmsten im Inselstaat, obwohl ihnen etwas völlig anderes versprochen wurde.“ Die betroffene Bevölkerung wolle verhindern , dass ihre Inselwelt erneut zum Testgebiet für eine zerstörerische Technologie gemacht werde. Auch die Erfahrungen mit den Atombombenversuchen im Südpazifik hätten die Pazifikbewohner traumatisiert.
Eine Garantie, dass der Tiefseebergbau die Meerestiere und Fischbestände nicht verseucht und die Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung nicht bedroht, gibt es nicht. „Wir fürchten, dass mit dem Abbau von Massivsulfiden ein umfangreicher Artenverlust in der Tiefsee stattfinden wird, der auch Konsequenzen für die Meeresökosysteme insgesamt haben wird“, sagt Kai Kaschinski von der NGO Fair Oceans in Bremen. Manche Arten in der Tiefsee sind endemisch, das heißt, es gibt sie einzig und allein im unmittelbaren Gebiet. Ein Abbau könnte Arten auslöschen, die noch gar nicht erforscht sind.
„Das größte Problem, was die Biologen gerade haben, ist, dass wir die Zusammenhänge in den Meeresregionen nicht verstehen“, sagt Sven Petersen vom GEOMAR. „Wenn man jetzt einen einzelnen aktiven schwarzen Raucher abbauen würde, wie dient dieses Areal zur Rekrutierung von anderen Arten in anderen Vorkommen? Im Moment verstehen wir zu wenig davon, wie die Netzwerke zwischen Nahrung und den Tieren in der Tiefsee funktionieren.“
Es gibt auch die Befürchtung, dass giftige Schwermetalle, die aufgewirbelt werden, sich über das Plankton in der Nahrungskette konzentrieren könnten. „Die Schwermetallbelastung sehe ich als geringstes Umweltproblem beim Tiefseebergbau an“, sagt hingegen Carsten Rühlemann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die den Meeresboden im Auftrag des Wirtschaftsministeriums nach Rohstoffen absucht. „Es ist ausgeschlossen, dass Stoffe, die in solcher Tiefe entstehen, nach oben gespült werden oder hochtreiben.“ Außerdem seien Schwermetalle nur dann gefährlich, wenn sie nicht in Form von Oxiden gebunden seien, also wenn sie keine Verbindung mit Sauerstoff haben. Doch weil das Wasser am Meeresboden sauerstoffreich sei, würde das Blei sofort in Oxid umgewandelt und sich ablagern.
Deutsche Tiefseeforscher griffen 1989 in einem Experiment nach harschen Mitteln: sie pflügten ein 11 Quadratkilometer großes Areal am Meeresboden vor Peru um und sahen zu, was passierte – was sie herausfanden, stimmt nicht gerade optimistisch. Das empfindliche Ökosystem, das sich in der Tiefe des Meeres befand, war zu großen Teilen zerstört und sollte sich selbst nach Jahren nicht wieder vollständig erholen. Eine internationale Forschungsmission erkundete 26 Jahre nach dem Experiment den umgepflügten Meeresboden. Nur wenige Organismen hatten sich regeneriert.
Auf Manganknollen siedeln sich Schwämme und Weichtiere an. Diese Knollen sind im Gegensatz zum weichen Sedimentboden ein fester Untergrund, auf dem das kaum erforschte Ökosystem der Tiefsee gedeihen kann. Nach dem Umpflügen kamen kaum Meeresbewohner zurück, und Manganknollen entstehen erst nach Millionen von Jahren. Bis sich Lebewesen am Meeresboden nach einem solchen Eingriff wieder ansiedeln, können nach derzeitigem Forschungsstand Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vergehen.
Beim Ausheben von Manganknollen werden zudem Sedimente aufgewirbelt. Was mit den Tiefseebewohnern am Meeresboden passiert, wenn sich diese künstlich erzeugten Sedimentwolken auf ihnen absetzen, ist schwer abzuschätzen. Eine andere Gefahr ist, dass die aufgewirbelten Sedimente und Trümmer sich wie ein wandernder Schleier über den Meeresboden legen. Diese Sedimentfahne kann nach Modellrechnungen mehrere Zehnerkilometer über den Meeresboden driften und so größere Flächen als die eigentlichen Abbaugebiete bedecken. „Die Bodenströmungen sind sehr langsam, im Durchschnitt drei Zentimeter pro Sekunde. Diese bewegen sich in eher elliptischen oder kreisförmigen Bahnen. Bis diese Sedimentfahne über größere Strecken weg vom Abbauort transportiert wird, dauert es sehr lange“, sagt Carsten Rühlemann von der BGR. Problematisch an dem Sedimentschleier: er sinkt über den Filtrierern ab, also Tiefseebewohnern wie Schwämmen, Korallen und Weichtieren, die auf klares Wasser und nur wenige organische Partikel eingestellt sind. Die Tiere drohen zu ersticken.
Rahul Sharma vom indischen National Institute of Oceanography schlägt vor, einen Abbau streifenweise zu betreiben: ein Streifen wird bearbeitet, die benachbarten Meeresbodenstreifen bleiben zu Regenerationszwecken unberührt. Gewissermaßen Dreifelderwirtschaft in der Tiefsee. Ob dieses Verfahren das Problem mit dem Sedimentschleier löst, ist allerdings fraglich.
Wem das Meer gehört, regelt im weitesten Sinne das UN-Seerechtsübereinkommen von 1994. Dort heißt es in Artikel 136: „Das Gebiet und seine Ressourcen sind das gemeinsame Erbe der Menschheit.“ Mit dem „Gebiet“ wird der Bereich des Ozeans bezeichnet, der nicht mehr einzelnen Staaten gehört. Die sogenannten Hoheitsgewässer eines Staates erstrecken sich rund 22 Kilometer (12 Seemeilen) von der Küste in die See, bis dahin gelten die nationalen Gesetze. In den weiteren 22 Kilometern vor der Küste, der sogenannten Anschlusszone, hat der Staat Kontrollbefugnisse. Danach eröffnet sich die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ), diese reicht bis zu 200 Seemeilen vom Festland ins Meer: dort kann der Staat natürliche Ressourcen ausbeuten, also fischen oder eben auch Bergbau betreiben.
Doch wer haftet dafür, wenn in der AWZ vor Papua-Neuguinea etwas schiefgeht und der Meeresboden samt Fischbeständen verseucht werden? Auch angrenzende Inselstaaten sind auf die Fischerei angewiesen. Der Internationale Seegerichtshof mit Sitz in Hamburg hat dafür im Februar 2011 ein Rechtsgutachten vorgelegt. Die elf Richter der Meeresbodenkammer betonen darin, dass die Staaten dafür sorgen müssen, den Abbau sicher und gesetzeskonform zu gestalten. Ist Papua-Neuguinea bereit, ein solch riskantes Unternehmen zu tragen und die Verantwortung dafür zu übernehmen?
Ein Rückblick auf das Verhältnis zwischen der Regierung und dem Rohstoffunternehmen zeigt: es hat gekriselt. Papua-Neuguinea wollte die vereinbarte Firmenbeteiligung von 30 Prozent zunächst nicht wahrnehmen. Die Finanzierung von Solwara 1 stand auf der Kippe und das Projekt wurde auf Eis gelegt. Das Unternehmen schaltete ein Schiedsgericht ein, das 2014 zu Gunsten von Nautilus Minerals entschied – die Regierung musste 15 Prozent der Anteile im Wert von sieben Millionen US-Dollar übernehmen. Sie hat eine Option auf weitere 15 Prozent, die sie aber bisher nicht wahrgenommen hat.
Schätzungen zufolge soll der Abbau und der Transport von Erzen über Solwara 1 mindestens 380 Millionen US-Dollar kosten, während der tägliche Betrieb des Projekts 260.000 Dollar verschlingt. Wenn die Tiefseebewohner vor Papua-Neuguinea Glück haben, werden vorerst noch keine Panzer über ihre Kolonien pflügen. Eine Aktie von Nautilus Minerals ist derzeit weniger als ein Dollar wert.
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