Behörden im Rausch der Tiefsee

Von Tania Röttger, CORRECTIV – Artikel, 10.10.2017

Wie Beamte und Lobbyisten beim geplanten Abbau von Tiefsee-Rohstoffen Hand in Hand arbeiten

Nach CORRECTIV-Recherchen sitzen mehrere Behördenmitarbeiter im Beirat eines Lobby-Vereins, der sich für den umstrittenen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee einsetzt. Das Umweltbundesamt vergab einen Auftrag an die private Firma des Geschäftsführers des Lobby-Vereins. Umweltschützer und Lobbycontrol kritisieren das.

Im lichtdurchfluteten Gebäude des Bundesverbands für Industrie (BDI) in Berlin haben sich  am Tag nach der Bundestagswahl knapp 200 Leute aus aller Welt versammelt. Sie interessieren sich für wertvolle Rohstoffe wie Metalle und Seltene Erden, die in mehreren Kilometern Tiefe auf dem Meeresboden liegen, und die, so scheint es hier, bald dort unten abgebaut werden. „Der Tiefsee-Bergbau gehört in die Koalitionsgespräche“, sagt Matthias Wachter auf der International Underwater Mining Konferenz in Berlin. Wachter ist beim BDI für Rohstoffe zuständig. Der Verein „Deep Sea Mining Alliance“, also „Tiefsee-Bergbau Allianz“, veranstaltete die Konferenz. Der Verein will politische und gesellschaftliche Unterstützung für den Abbau finden. Ein Lobby-Verein.

Wissenschaftler fürchten, dass die komplexen, wenig erforschten Ökosysteme auf dem Meeresgrund durch den Tiefsee-Bergbau in Gefahr sind. So könnten selbst geringe Veränderungen Einfluss auf Tiefsee-Lebewesen und damit die Nahrungskette im Meer beeinträchtigen.

Das hindert die Mitarbeiter von drei deutschen Behörden nicht, gute Verbindungen zu dem Tiefsee-Verein zu pflegen. Die Verbindungen sind sowohl personeller als auch geschäftlicher Art. So erhielt das private Unternehmen von einem der Geschäftsführer der „Deep Sea Mining Alliance“ Aufträge von Behörden. Und während das Umweltbundesamt prüfen soll, wie und ob in der Tiefsee Rohstoffe umweltschonend abgebaut werden können, ist zumindest ein Mitarbeiter mit dem Verein verbunden.

Rohstoffe im Meer

Auf dem Meeresgrund liegen große Mengen natürlicher Rohstoffe. Darunter auch wertvolle Metalle wie Gold, Kupfer, Mangan, Nickel oder Kobalt. Sie haben sich über Millionen Jahre abgelagert: in sogenannten Manganknollen, Kobaltkrusten oder Massivsulfiden, auch Schwarze Raucher genannt. Die Materialien werden gebraucht für die Herstellung von Stahl, Akkus oder Solarzellen. Im Moment importiert Deutschland den überwiegenden Teil des eigenen Bedarfs an diesen Rohstoffen. Zum Beispiel aus dem Kongo, aus Russland oder Australien. Doch die Vorkommen an Land gehen zurück.

Viele Rohstoffe liegen in internationalen Gewässern, also außerhalb der 200-Seemeilen-Zone, in der die Küstenanreiner ein wirtschaftliches Nutzungsrecht haben. Ungefähr 50 Prozent der Erdoberfläche sind internationale Gewässer. Und die verwaltet die Internationale Meeresbodenbehörde in Jamaika. Dort können sich Staaten und auch Unternehmen um Lizenzen für bestimmte Gebiete bewerben.

Deutschland hat sich inzwischen zwei Lizenzen gesichert: für ein 75.000 Quadratmeter großes Gebiet im Pazifik und eine 10.000 Quadratmeter große Fläche im Indischen Ozean. Dort untersuchen Wissenschaftler nun, in welcher Menge die Rohstoffe vorkommen. Die Hoffnung ist, dass deutsche Unternehmen ihren Rohstoffhunger durch den Meeresboden in den fernen Ozeanen stillen können.

Der Industrie-Verein 

Im Lobbyverein „Deep Sea Mining Alliance“ haben sich Unternehmen zusammengeschlossen, deren Geschäft der Rohstoffabbau im Meer ist. Sie bauen die Maschinen dafür, oder entwickeln spezielle Technologie für das komplexe Terrain unter Wasser.

Auf der Webseite des Vereins steht, man wolle „als Plattform der Industrie“ eine „abgestimmte Interessenvertretung gegenüber Politik, Wissenschaft und Gesellschaft unterstützen“ – das ist die Definition von Lobbyismus. Dafür hat sich der Verein Vertreter aus den relevanten Behörden in den eigenen Beirat geholt: Mitarbeiter vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und vom Umweltbundesamt. Das sind genau jene Behörden, die den Weg hin zum Rohstoffabbau vorbereiten.

Timo Lange von Lobbycontrol sagt, das sei „kritisch“. Schließlich befassen sich die Behörden genau mit den Interessen des Vereins. Der bekomme so einen besonderen Zugang zur Verwaltung. Dabei sollten Behörden ihr Amt eigentlich unparteiisch ausüben, und sich am Gemeinwohl orientieren.

Die Verbindungen zu Behörden 

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften hat die zwei Gebiete im Pazifik und im Indischen Ozean ausgewählt. Der Abteilungsleiter Carsten Rühlemann leitet die Expeditionen zu den Manganknollen im Pazifik. Und er sitzt im Beirat der „Alliance“. Die Bundesanstalt schreibt, Rühlemann sei „einzig und allein dem Forschungsauftrag der Bundesregierung verpflichtet“. Seine Arbeit werde durch den Verein nicht beeinflusst, er sitze im Beirat, um seine Fachexpertise dort einzubringen.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften ist schon in der Vergangenheit durch Nähe zur Industrie aufgefallen. In den 1980er Jahren sollen Unternehmen der Rohstoff-, Chemie- und Energie-Industrie über eine Stiftung Gelder an die Bundesbehörde gezahlt haben. Im Gegenzug soll die Behörde Gutachten im Sinne der Industrie verfasst haben. Über Fracking etwa, und die Eignung des Salzstocks Gorleben als Endlager. Das berichteten „Süddeutsche Zeitung“, WDR und NDR im vergangenen Jahr. Den Vorwurf weist die Bundesanstalt auf Anfrage von sich.

Auch das Wirtschaftsministerium will der deutschen Industrie zu einem Stück vom Tiefsee-Kuchen verhelfen. Aus dem Ministerium sitzt Rodin Knapp im Beirat der „Deep Sea Mining Alliance“. Er war unter anderem für Elektromobilität zuständig. Für manche Autobatterien werden die Metalle Kobalt, Nickel und Mangan gebraucht, die auf dem Meeresboden vorkommen. Inzwischen ist er in der für den Tiefseebergbau zuständigen Abteilung „Maritime Wirtschaft“. Das Wirtschaftsministerium sagt dazu: „Das Bundeswirtschaftsministerium steht auf vielen Ebenen in Kontakt mit der Wirtschaft und wahrt dabei den für die professionelle Arbeit einer obersten Bundesbehörde gebotenen Abstand.“

Umwelt in Gefahr?

Es ist die Aufgabe der Bundesanstalt für Geowissenschaften und dem Wirtschaftsministerium, die deutsche Wirtschaft zu unterstützen. Doch anders ist es beim Umweltbundesamt. Das Amt soll wissenschaftlich erforschen, wie es der Umwelt geht. Dazu gehört, inwieweit der Tiefsee-Bergbau umweltschonend ablaufen kann. Auch von dieser Behörde sitzt ein Mitarbeiter im Beirat des Tiefsee-Lobbyvereins: Hans-Peter Damian.

Damian beschäftigt sich unter anderem mit Schadstoffunfällen im Meer. Das Umweltbundesamt schrieb auf Anfrage, dass es bewusst einen Mitarbeiter in den Beirat des Vereins geschickt habe. Er soll dort Informationen über die Industrie sammeln, und an einem „direkten Austausch von Auffassungen“ teilnehmen. Damian soll der Industrie außerdem Anforderungen an die Umwelt vortragen. Das Umweltbundesamt hofft, dass diese „direkt in Planungen fließen können“. Allerdings hat das Amt nach eigener Aussage keine Erkenntnisse darüber, ob das tatsächlich geschieht.

Kritiker haben große Zweifel an dem gesamten Unterfangen. Britta König, Sprecherin der Umweltschützer vom WWF, meint, man könne gar nicht umweltschonend abbauen. Denn die Manganknollen selbst, die vom Meeresboden entfernt werden, seien ein Lebensraum für Organismen. Außerdem würde durch Abbaumaschinen Sediment aufgewirbelt. Das breite sich in der Tiefsee aus und könne so auch andere Lebewesen und Ökosysteme beeinflussen. Der Lebensraum sei geprägt von extremen aber konstanten Bedingungen. Die würden durch den Tiefsee-Bergbau auf jeden Fall geändert. König sagt, es müsse stattdessen über Recycling der vorhandenen Materialien nachgedacht werden.

Es ist noch sehr teuer, die Rohstoffe in der Tiefsee abzubauen. Besonders nah am tatsächlichen Bergbau im Meer soll jedoch die kanadische Firma Nautilus Minerals sein, die bei Umweltverbänden bereits in der Kritik steht. Nautilus will im Jahr 2019 mit dem Bergbau beginnen. Vor der Küste Papua Neu-Guineas sollen große Bohrmaschinen den Meeresboden aufbrechen, Massivsulfide ausgraben und an die Wasseroberfläche bringen. Die Plastikschläuche an den Maschinen kommen aus Deutschland, von dem Kunststoffhersteller ContiTech AG. Die Firma ist Mitglied in der „Deep Sea Mining Alliance“.

Geschäftsbeziehungen

Das Wirtschaftsministerium und die Lobby des Tiefsee-Bergbaus arbeiten schon lange zusammen. Im Jahr 2011 erstellte die private Marketing-Agentur eines der Geschäftsführer des Vereins, Michael Jarowinsky, eine Marktstudie über die Abbauchancen in der Tiefsee. Ein Jahr später erhielt Jarowinsky den Auftrag, den „Nationalen Masterplan Maritime Technologie“ zu koordinieren.

Im Juli 2016 erhielt die MC Marketing Consulting schließlich als eines von zwei Unternehmen nach öffentlicher Ausschreibung den Zuschlag, eine Geschäftsstelle einzurichten, um den „Nationalen Masterplan Maritime Technologie“ umzusetzen.

Auch das Umweltbundesamt hat vor einigen Jahren MC Marketing Consulting engagiert. Jarowinsky und seine Kollegen sollten im Jahr 2013 eine Studie schreiben über die „ökologischen Auswirkungen des Tiefsee-Bergbaus auf die marine Umwelt“. Allerdings hat das Umweltbundesamt den Bericht nicht veröffentlicht, weil sie „mit den vorgelegten Empfehlungen inhaltlich nicht übereinstimmen“. Außerdem sei die Agentur nicht genug auf die ökologischen Auswirkungen des Tiefsee-Bergbaus eingegangen, schreibt das Umweltbundesamt nun. Daher habe es auch keine weiteren Aufträge an MC Marketing Consulting vergeben.

Michael Jarowinski sagt, das Umweltbundesamt habe die Studie „vollständig akzeptiert“, von Unstimmigkeiten wisse er nichts. Die angeblichen Bedenken hielten das Amt auch nicht davon ab, einen Beirat in den Lobby-Verein „Deep Sea Mining“ zu entsenden in der vagen Hoffnung, dass Tiefsee-Abbau auf umweltverträgliche Weise möglich ist.

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